KOMMENTAR
UG-Novelle: Lässt es sich ohne Leistung studieren?
Ohne Entfaltung von Aktivitäten bleibt der Studienabschluss ein Trugbild
Am 25. März 2021 wurde die Novelle des Universitätsgesetzes im Nationalrat verabschiedet. Heiß umfehdet war im Vorfeld die sogenannte „Mindeststudienleistung“, die schon vor der Begutachtungsphase heruntergekocht, dann noch weiter gedrosselt und schließlich zur Kenntlichkeit entstellt wurde. Aber lässt es sich – aktuelle Plagiatsfälle einmal ausgenommen – ohne Leistung studieren?
Universitäten sind ein kostspieliges Unterfangen. Der Rektor der Central European University (CEU) und ehemalige Spitzenkandidat der kanadischen Liberalen, Michael Ignatieff, meinte einmal, aus politischer Sicht seien sie „godawfully expensive“. Der Löwenanteil der Kosten entfällt dabei auf hochqualifiziertes Personal, in Österreich gefolgt von den Gebäudemieten. Für eine gute Universität braucht es daher entweder solide öffentliche Finanzierung oder einen massiven Vermögensstock (endowment).
Massification. Vor 100 Jahren, mit einem sehr überschaubaren Universitätsbetrieb, war das wesentlich leichter. Vor etwa 50 Jahren setzte aber international das ein, was in der Hochschulforschung als massification bezeichnet wird: Die Öffnung der Universitäten, aus äußerst guten Gründen. Das Problem dabei ist, dass die Staaten ihrem Versprechen nicht gerecht werden: Die Universitätsbudgets haben mit dieser Öffnung nicht annähernd Schritt gehalten. Da ist Österreich beileibe nicht allein, das Phänomen ist international bekannt.
Die Zahl der Uni-Studierenden hat sich in Österreich von 1970 auf 2010 verfünffacht. Das ist uneingeschränkt begrüßenswert. Wir finden 2020 aber ganz andere Rahmenbedingungen vor als 1970, als jeder Absolvent und jede Absolventin akademische Arbeit fand, unabhängig von der Studiendauer. Durch die Verfünffachung ist das Universitätssystem heftig teurer geworden (Unis sind personalintensiv), daher spielen heute auch Effizienzüberlegungen eine Rolle – im Sinne der Steuerzahler. Bei einem weitgehend gebührenfreien Studium ist das legitim. Die öffentliche Hand steht hinsichtlich der sparsamen und wirkungsvollen Mittelverwendung unter Rechtfertigungsdruck. Das erhöhte Steueraufkommen künftiger Akademikerinnen und Akademiker ist zwar bei weitem nicht die einzige, aber eine volkswirtschaftlich wesentliche Wirkung von Universitäten, im Sinne der Refinanzierung dieses öffentlichen Investitionsmodells.
Verbindlichkeit. Die uniko fordert seit langem etwas mehr wechselseitige Verbindlichkeit im Studienrecht. Der hohe Anteil prüfungsinaktiver Studien in Österreich wird den Universitäten gerne als mangelnde Effizienz ausgelegt – obwohl der Großteil der Varianz auf studentischer Seite liegt. Zugleich bestehen auch offensichtliche Nachteile für die Studierenden: Viele Semester hindurch wenige oder keine Prüfungen abzulegen senkt die Wahrscheinlichkeit eines Studienabschlusses drastisch. In Ländern mit hohen Studiengebühren stellt sich das Problem nicht: Niemand zahlt aus schierem Vergnügen Semester für Semester erkleckliche Gebühren, nur um dann inaktiv zu bleiben. Das Phänomen tritt in vielen Universitätssystemen also gar nicht erst auf.
Studieren braucht Zeit. Die Herkunft der Studierenden sollte dabei schnurzegal sein: Akademikerfamilie oder LKW-Fahrer, Schöngeist oder Werkstudentin darf keinen Unterschied machen. Für alle aber gilt, dass das Studium mit einem Mindestmaß an Aufwand und Effizienz betrieben werden muss, mit Plan und Ziel. Die skandinavischen Länder punkten hier mit hervorragenden leistungsbasierten Stipendiensystemen, die unabhängig vom Lebensalter in Anspruch genommen werden können. Das Grundprinzip ist stets dasselbe: Wer studieren will, muss es auch tun. Universitäten sind per definitionem elitär, und zwar intellektuell elitär: Über das Fortkommen haben Intellekt und Einsatz zu entscheiden, nicht die Geldbörse der Eltern.
Lebenslüge. Das immer wieder zu lesende Argument, dass neben Vollzeitarbeit und Familie nicht auch noch Zeit fürs Studium bleibe, hat eine absurde Note: Ja, eben! Wer nicht einmal im Umfang von 16 ETCS-Punkten in zwei Jahren studiert, studiert nicht. Es würde auf diese Weise über 22 Jahre dauern, um auch nur ein Bachelorstudium abzuschließen. Daher: Das Studium soll jedem, der das Zeug dazu hat, offenstehen, aber es muss auch Aktivitätsentfaltung geben. Wenn die Rahmenbedingungen so prekär sind, dass die Zeit für ein Studium nicht vorhanden ist, dann ist politisch an diesen Rahmenbedingungen anzusetzen. Von der Massensuggestion, man könnte ja wunderbar studieren, wenn man nur wollte, hat niemand etwas; sie ähnelt der Ibsen’schen Lebenslüge.
Leider lenkt diese Grundsatzdebatte von den eigentlichen Problemen ab. In Österreich wird die öffentliche Finanzierung mittlerweile auf ein enormes Spektrum an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen verteilt. Das führt zu einem spreading thin der öffentlichen Mittel für Wissenschaft und Forschung – jüngstes Stichwort TU OÖ. Nichts gegen Konkurrenz, aber so wird das nichts mit den Ranking-Spitzenplätzen.